REZENSIONEN
“Tango ist Liebe, Leben und Leidenschaft"
Bei seinem Gastspiel in Taunusstein verwandelte der chilenische
Musiker Pablo Ardouin das “jaleo" in eine südamerikanische
Tanzhalle
TAUNUSSTEIN Es lebt der Tango. Tango, die Berührung. Tango,
ein Tagtraum. Tanzhallen, Eifersucht, Melancholie der Vorstadt.
Pablo Ardouin schlägt einen Akkord auf seiner Gitarre an. Zart
und melancholisch ertönt die Stimme des chilenischen Künstlers,
die sich dann abrupt, kräftig und beschwörend dem ,,aufregend-wilden
Pulsschlag" hingibt.
“Tango ist Leben und Leidenschaft", erklärt der
43jährige Dichter, Musiker und Komponist, als er in der Taunussteiner
Tanzschule “jaleo" das Tanzparkett in der Sprache der
“Helden, Machos und der Unterwelt" freigibt. Seit den
Wiesbadener Maifestspielen 1992 widmet sich der Wahl-Frankfurter
dem Tango, der spannungsreichen Mixtur aus Polka – Masurka
- Habanera, anatolischer Musik und afrikanischen Klängen. Mit
viel Seele und Verve, aber auch ein bißchen Wehmut. Der Künstler
mit den graumelierten Haaren und dem Pfeffer-und-Salz-Bart scheint
den Tanzhallen seiner Heimat nachzutrauern. “Tango ist in
Europa nur eine Kunstform", bedauert Ardouin. Besonders die
deutsche Tanzweise, die “kerzengerade Körperhaltung,
die bitterernste Miene und die viel zu langen Schritte" seien
vollkommen untypisch.
Ardouin wippt kurz mit den Füßen, sein Körper
wird weich und geschmeidig. In atemberaubender Schnelligkeit vollführen
seine Beine ein elegantes und zugleich kämpferisch wirkendes
Stakkato. Gebärden eines Machos, der um die Liebe einer Frau
buhlt? Seine Augen lachen schelmisch: “Ja, vielleicht".
Vor elf Jahren kam Ardouin nach Deutschland. Nicht aus politischen
Gründen, sondern aus Liebe zu einer Frau. Seine Kunst in der
chilenischen Heimat dagegen war von den politischen Ereignissen
seiner Jugendzeit geprägt. Diktatur, Willkür, Militärpräsenz
- der Musiker zählte zu den jungen Künstlern, die die
Diktatur Pinochets in der versteckten Form des “Neuen Chilenischen
Liedes", also zwischen den Zeilen, kritisierte.
Im Süden Chiles hat sich Ardouin mit mehreren Komponistenpreisen
einen Namen gemacht. In Frankfurt agiert der Vorsitzende des lateinamerikanisch-deutschen
Kulturvereins L'Araña gemeinsam mit seiner Frau Renate als
Vermittler zwischen zwei Kulturen. Spezialitäten des Duos Entredos:
Bertolt Brecht oder das “Lied von der Moldau", unterlegt
von lateinamerikanischen Rhythmen.
Musik zum Zuhören, Musik für den Kopf, wie auch Ardouins
Poesie. Tango ist jedoch für die Seele. Da schließt Pablo
Ardouin die Augen, verwandelt in seinem Inneren den Taunussteiner
Tango-Treff in eine südamerikanische Tanzhalle und ist ganz
bei sich.
Wiesbadener Kurier, 28.2.1994 / Cornelia Diergardt
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