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STOLZ WIE LÖCHER
Wenn man mich vor einigen Jahren gefragt hat, ob ich stolz sei,
Chilene zu sein, antwortete ich automatisch mit ja. Nun, bei reiflicher
Überlegung und in selbstkritischer Analyse, kann ich sagen,
dass ich auf bestimmte Dinge stolz bin und auf andere nicht. Heute
kann ich mein Land und seine Leute mehr aus der Distanz betrachten,
ohne die Klischees und Vorurteile heranzuziehen, die noch aus meiner
Schulzeit herrühren. In meinem Land brachte man uns bei, dass
Chile die schönste Nationalhymne und die schönste Fahne
der Welt hat, die größten Helden und mutigsten Krieger,
eine glorreiche und überdies unbesiegte Armee und weitere Details,
mit denen sich so manches andere Land versucht zu schmücken:
die schönste Landschaft, das beste Essen, die beste Musik und
die schönsten Frauen.
Über eine eingebildete Person sagen wir in Chile:
Der glaubt wohl, er sei das Loch im Kranzkuchen! In
ganz Lateinamerika bekannt für eine solche Haltung sind die
Argentinier aus Buenos Aires und der beste Witz, der dieses Phänomen
beschreibt, kommt aus Argentinien selbst: Wie wird man am
schnellsten Millionär? Man erwerbe einen Argentinier zu seinem
realen Wert und verkaufe ihn dann für das, wofür er sich
hält. Dicht gefolgt werden die Argentinier von den Brasilianern,
die nicht müde werden zu betonen: Nos somos o pais mais
grande do mundo. Auf dem dritten Platz findet man die Mexikaner,
die sich allerdings tatsächlich aufrichtiger Bewunderung erfreuen
für ihre zapatistische Revolution (die frühe und die jüngste)
und die Tapferkeit, mit der sie unerschütterlich die Vereinigten
Staaten von Amerika als direkten Nachbarn ertragen, aber auch für
ihre sprichwörtliche Sympathie.
Was mein Land betrifft, so kann ich nicht stolz darauf
sein, dass es die Versuche toleriert und zulässt, eine 17jährige
brutale Diktatur unter den Teppich zu kehren. Ein Land, dessen ökonomische
Macht sich noch immer ausschließlich in den Händen jener
zwielichtigen Figuren befindet, die, sofern sie sich nicht durch
offene Komplizenschaft hervorgetan haben, zumindest der gewichtigste
Teil derjenigen sind, die die Barbarei der Militärs unterstützten,
tolerierten, negierten und verschleierten. Ein Land, in dem ein
nicht geringer Teil der Bevölkerung (nahezu 30%) einem Mann,
den die internationale Gemeinschaft anklagt, Drahtzieher und Komplize
von Morden, Folter und Verschleppungen zu sein, gerne ein Denkmal
errichten und ein paar Straßen und Plätze nach ihm benennen
würde, als Vorbild für nachfolgende Generationen. Ein
Land, in dem der Täter zum Opfer wird und das die Opfer als
Täter präsentiert. Ein Land, in dem Mörder und Folterer
frei herumlaufen und täglich ihren Opfern begegnen. Ein Land,
das gleichzeitig in der Lage ist, einem armen und rechtlosen Hungernden
5 Jahre Haft aufzubrummen, weil er ein Huhn gestohlen hat, um nur
ein Beispiel unzähliger Verirrungen zu nennen.
Ich habe mein Land nicht gefragt, ob es stolz auf
mich ist und sei es auch nur wegen des Zufalls, dort geboren zu
sein. Denn fragt man mich nach meinen Wurzeln: meine Vorfahren sind
Schotten, Franzosen, Spanier und Mapuche-Indianer.
Wenn ich mich in Deutschland als Chilene zu erkennen
gebe, kommt oft die automatische Reaktion: Ah! Neruda, Pinochet.
Wegen des Ersteren steigt in mir ein wohliges Kribbeln bis hinauf
zum Nacken. Das dazu passende Gefühl nenne ich unumwunden Stolz.
Auch der zweite Name verursacht eine körperliche Reaktion.
Die ist ganz anderer Natur.
Das Gefühl des Stolzes an sich, das in der aktuellen
Diskussion über den Stolz, Deutscher zu sein, dieses Land durchzieht
und mit dem auf sehr verfängliche Weise mit der Libido der
Deutschen gespielt wird, hat einen stark bitteren Beigeschmack.
Wenn ein Deutscher mir ohne weitere Erläuterungen sagen würde:
Ich bin stolz, Deutscher zu sein, käme ich nicht
umhin, ein paar Schmutzlappen hervor zu kramen, um seine Erinnerung
aufzufrischen. Und der Gesamtheit der präpotenten und arroganten
Stolzen dieses Planeten halte ich solch einfache Details wie Hiroshima,
Nagasaki, Vietnam und - sollte das nicht ausreichen - noch zahlreiche
weitere Kleinigkeiten vor die Nase.
Ich habe sehr gute deutsche Freunde. Die schlagen
ob des neu erwachten Stolzes beschämt und fassungslos die Hände
vors Gesicht. Gerade aber sie müßten sich am wenigsten
schämen. Ich immerhin bin nicht ohne Grund stolz, sie zu kennen!
Sie sind meine Stütze bei der Verwirklichung eines nicht immer
ganz leichten Unterfangens: Als Ausländer in Deutschland zu
leben und dabei öfter auch das Gefühl zu haben, anerkannt
und willkommen zu sein, ja sogar gemocht zu werden. Wen wunderts
da noch, wenn Merz & Co. neidisch ihren vagen Stolz beschwören
und sich so gerne wenigstens für das Loch des Kranzkuchens
hielten.
Pablo Ardouin
Copyright
© Frankfurter Rundschau online 2003
Erscheinungsdatum 14.04.2001
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